NEWS | July 20, 2023

Schweden auf Shopping-Tour für neue Atomkraftwerke

Atomkraftwerk

Schweden schert aus dem Green Deal der EU aus. Dass die neue Regierung des Landes weitere Kernkraftwerke bauen will, ist für Atomkritiker ein Rückschritt. Schließlich hatte das Land schon vor 40 Jahren den Ausstieg aus der nuklearen Energiegewinnung beschlossen. Dabei muss Kernkraft keinesfalls eine Rückentwicklung bedeuteten, zumal sie genau wie die erneuerbaren Energien dabei hilft, CO2-Emissionen zu vermeiden.

Die schwedische Regierung erwartet bis 2040 eine Verdoppelung des Strombedarfs auf rund 300 Terawattstunden (TWH). Ein Grund dafür ist die geplante Elektrifizierung der Schwerindustrie und des Transportsektors, Schwedens größter CO2-Emittenten. Für die Energieministerin Ebba Busch geht das nicht allein mit erneuerbaren Energien, da deren Energiegewinn zu unberechenbar sei. Die Pläne der neuen schwedischen Regierung sehen es daher vor, den Anteil der Kernkraft bis 2030 von etwa 30 % auf 50 % zu erhöhen. Ebba Busch hat die neue Strategie bei einem Interview mit Plusminus auf den Punkt gebracht: „Schweden ist auf Shopping-Tour für neue Atomkraftwerke.“

Die Finanzministerin Elisabeth Svantesson fasste die neuen Energieziele im Parlament wie folgt zusammen: „Wir brauchen mehr Stromproduktion, wir brauchen sauberen Strom und wir brauchen ein stabiles Energiesystem.“ Statt „100 % erneuerbare Energien“ ist jetzt „100 % fossilfreier Strom“ die Devise. Denn auch mit Nutzung der Kernkraft bleibt es Schwedens erklärtes Ziel, bis 2045 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Dass die Kernkraft dafür ein legitimes Mittel ist, findet auch 60 % der vom Meinungsforschungsinstitut Novos befragten Schwedinnen und Schweden. Vor 5 Jahren hatte sich bloß die Hälfte von ihnen für den Ausbau der Kernenergie ausgesprochen. Und auch wir denken: Um eine optimale Lösung zu finden ist es wichtig, unterschiedliche Ansätze im Auge zu behalten.

Tatsächlich tut sich sehr viel bei der Erforschung der Kernenergie. Es gibt Flüssigsalzreaktoren, die viel sicherer sind und deren Abfälle eine Halbwertzeit von 300 Jahren anstatt von 100.000 Jahren aufweisen. (wir berichteten) Das Startup „Next-Gen Nordic Nuclear“ entwickelt in einer winzigen Göteborger Seitenstraße kleine modulare Kernkraftwerke. Diese lassen sich vorproduzieren und vor Ort zusammenbauen. Dadurch können sie genau dort zum Einsatz kommen, wo ihre Energie gebraucht wird. Und auch ihre Abwärme lässt sich verwenden, zum Beispiel für die Entwicklung von E-Fuels und Wasserstoff. Zu guter Letzt stellen auch die Anlagen der alten bisherigen Kernkraftwerke eine ideale Infrastruktur für den Bau künftiger Kernfusionsreaktoren dar – unsere Hoffnung auf (fast) kostenlose Energie.

Genau wie Windkraft und Solarenergie braucht und verbraucht auch die Atomenergie produktionskritische Metalle. Während die erneuerbaren Energien vor allem auf Indium, Gallium, Germanium und Seltene Erden setzen, benötigt man für die Brennstäbe von Kernreaktoren Hafnium. Der Preis für dieses Technologiemetall ist kürzlich in China stark gestiegen, während in Europa noch die alten Preise gelten – sicher wird sich das bald anpassen, daher ist jetzt ein guter Moment für einen Kauf.