Indien ist einer der großen Zukunftsmärkte und eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Eine Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) besagt, dass das Schwellenland im Jahr 2025/2026 Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ablösen wird. Die Bevölkerungszahl des Rivalen China hat Indien erst letztes Jahr überholt und ist mit 1,4 Milliarden Einwohnern das Land mit den meisten Menschen. Während China seit 2022 einen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen hat und Überalterung fürchten muss (wir berichteten), kann die junge wachsende Bevölkerung Indiens dazu beitragen, das beeindruckende Wirtschaftswachstum des Landes von gut 8 % noch für viele Jahre zu erhalten.
Ersetzt Indien bald seinen Erzrivalen China?
Riesige Infrastrukturprojekte entfesseln das Wachstumspotential
Anders als in früheren Jahren scheint das Land diesmal den wirtschaftlichen Aufstieg zu meistern.
Eines der schwersten Probleme von Indiens Wirtschaft sind laut dessen Finanzministerium durch unzureichende Infrastruktur verursachte Logistikkosten. Um Abhilfe zu schaffen hat Indien riesige Infrastrukturprojekte gestartet. So soll ein 8-spuriger Highway auf im Meer aufgeschüttetem Land die Geschäftsviertel im Süden von Mumbai mit den Wohngegenden im Norden verbinden. Statt 2 Stunden sollen Pendler dann nur noch 40 Minuten brauchen. Kostenpunkt: 1,5 Milliarden Doller. Auch in Flughäfen und Gleise investiert das Land, um sein Wachstumspotential zu entfesseln.
Jährlich 50 Gigawatt Solar- und Windkraftstrom ans Netz
Auch für die Energieversorgung hat Indien große Pläne: Für die kommenden fünf Jahre hat sich das Land vorgenommen, jährlich 50 Gigawatt an Solar- und Windkraftkapazität ans Netz zu bringen. Allein das verbraucht eine Menge an kritischen Metallen wie Indium, Gallium und Seltenen Erden, etwa Dysprosiumoxid. Zum Vergleich: Deutschland peilt bis 2030 einen jährlichen Ausbau von 22 Gigawatt Solarstrom und zehn Gigawatt an Land erzeugter Windenergie an.
Diversifizierte Lieferketten durch „grünes“ Ammoniak
Indiens Aufschwung kann auch Deutschland zugutekommen. Der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper verkündete im Februar letzten Jahres eine Vereinbarung mit dem indischen Energieerzeuger Greenko, der künftig 250.000 Tonnen grünes Ammoniak, also transportfähigen Wasserstoff, nach Europa liefern will. Das bietet Deutschland eine weitere Möglichkeit, sich mit „grünem“ Wasserstoff zu versorgen.
Deutschland bei digitaler Kompetenz abgehängt?
Deutschland kann vor allem von Indiens digitaler Kompetenz lernen. Während Deutsche immer noch zu 58 % in bar zahlen, sind es in Indien nur noch 27 % (2021/2022), der Rest bezahlt digital. Der virtuellen Währung liegt eine Infrastruktur zugrunde, die eine digitale, über Netzhautanalyse und Fingerabdruck verifizierte ID nutzt – eine Technologie, von der Deutschland weit entfernt ist. In Indien hingegen haben kleine Friseurläden an der Straßenecke oft noch nicht einmal ein Dach. Aber fast jeder Anbieter hat irgendwo einen Aufkleber mit einem QR-Code an der Wand, wo Kunden ohne Bargeld mit dem Handy zahlen können. Das ist nicht nur für die Händler einfacher, weil sie kein Münzwechselgeld brauchen, sondern bringt auch Transparenz in die Zahlungsflüsse. Dadurch wurde erfolgreich die Korruption bekämpft und zugleich die Steuereinnahmen erhöht.
Indien braucht Europa
Noch ist Indien ein Land der Gegensätze. Während in Hochhäusern mit mobil gesteuerter Klimaanlage Wissenschaftler KI und das Internet der Dinge erforschen, weichen vor den Gebäuden Rikschafahrer Schlaglöchern und streunenden Kühen aus. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise sehr schlecht, vor allem im informellen und damit unregulierten Sektor. Es gibt religiöse Konflikte und Narendra Modi wurde wegen seines autoritären Nationalismus schon mit Donald Trump verglichen. Trotzdem braucht das Land Europa für seine wirtschaftliche Entwicklung. Und das bedeutet riesige Chancen, so dass an Indien kein Weg vorbeiführt.