Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, macht es zu Beginn der Sendung ungewohnt deutlich: Europa habe 35 Jahre lang von günstigen geopolitischen Rahmenbedingungen gelebt. Doch russisches Gas, amerikanischer Schutz und chinesische Absatzmärkte – die drei Grundpfeiler der europäischen Bequemlichkeit – sind brüchig geworden.
Weber spricht ruhig, aber seine Worte markieren einen Wendepunkt: Europa befindet sich nicht mehr im Zentrum der Weltordnung, sondern in ihrer Neuvermessung.
Ein Kontinent, der aus dem Wohlstandsschlaf erwacht
Chinas Schatten in der Lieferkette
Was geopolitisch abstrakt klingt, bekommt durch Andreas Kroll plötzlich Kontur. Als Geschäftsführer von Noble Elements bewegt er sich täglich in jenem Rohstoffraum, in dem Europa kaum noch souverän agiert.
Kroll beschreibt einen Umgang Chinas, der „ruppiger“ geworden sei. Um Seltene Erden überhaupt zu exportieren, verlangen Behörden inzwischen detaillierte Angaben zur Endverwendung – Informationen, die europäische Unternehmen aus gutem Grund nicht offenlegen möchten.
Was folgt, ist ein Flaschenhals, der lehrreich ist:
Verzögerungen, Unsicherheiten, Produktionsstops.
Man muss es nicht dramatisieren – es reicht, es zu verstehen:
Rohstoffe sind geopolitische Werkzeuge geworden.
Die Germanium-Linse – ein Objekt, das die Weltordnung spiegelt
Einer der eindrucksvollsten Momente des Abends kommt ohne große Worte aus. Kroll legt eine Germanium-Linse auf den Tisch.
Unspektakulär, transparent, fast harmlos – und doch ein Symbol.
Germanium ist entscheidend für:
- Nachtsichtgeräte
- Wärmebildtechnik
- Satellitenoptiken
- militärische Sensorik
Eine Linse, die zeigt, wie abhängig Europa in Wirklichkeit ist:
Nicht von Masse, sondern von Gramm.
In diesem Augenblick wird greifbar, was Experten seit Jahren sagen:
Der Wettlauf um technologische Souveränität entscheidet sich nicht in Fabrikhallen, sondern in den Metallen, die sie erst möglich machen.
Ein Lager wie ein Seismograf
Ein kurzer Einspieler zeigt das Hochsicherheitslager von Noble Elements. Dort, dicht an dicht, lagern Metalle im Wert von rund 50 Millionen US-Dollar – verdichtet auf eine Fläche, die eher an ein Kunstdepot erinnert als an ein Industrielager.
Die Szene wirft eine unbequeme Frage auf:
Wie konnte Europa es zulassen, dass diese Rohstoffe kaum noch eigenständig beschafft, veredelt oder gehalten werden?
Ein Blick auf Yttrium liefert die Antwort:
In China: rund 7 Dollar pro Kilogramm
In Europa: über 200 Dollar
Ein Preisgefälle, das weniger mit Wirtschaft und mehr mit Geopolitik zu tun hat.
Wege aus der Abhängigkeit – zumindest in der Theorie
Manfred Weber bleibt an diesem Abend nicht bei der Diagnose stehen.
Er fordert:
- Mindestabnahmemengen, damit Investoren sich trauen, Projekte zu starten.
- Preisgarantien, um die Aufbauphase abzusichern.
- Eine gemeinsame europäische Einkaufspolitik, statt nationaler Alleingänge.
Und die Bereitschaft, auch in Europa wieder Rohstoffe abzubauen – unter hohen Standards, aber mit klarem Ziel: Souveränität.
Kroll ergänzt, was Europa seit Jahren versäumt:
den Aufbau eigener physischer Reserven – etwa über Projekte wie Noble Elements, die Seltene Erden AG oder digitale Lieferkettenplattformen wie Finomet, die Transparenz überhaupt erst herstellbar machen.
Ein Wettlauf, der längst begonnen hat
Zum Ende des Abends fasst Kroll die Lage in einem Bild zusammen, das präziser kaum sein könnte:
China ist schon 100 Meter gelaufen.
Die USA stehen bei 20 Metern.
Europa sitzt noch in der Umkleidekabine – immerhin sind die Schuhe gebunden.
Dieser Vergleich ist weder Übertreibung noch Resignation.
Er ist eine Zustandsbeschreibung – und ein Weckruf.
Europa hat die Wahl:
Zuschauen, wie der Wettlauf weitergeht.
Oder endlich aus der Umkleidekabine treten.
